Was macht eigentlich eine Stadtschreiberin? Ich schaue Maarja Pärtna an. Normalerweise muss ich diese Frage beantworten, endlich kann ich sie mal stellen. Meine Antwort reicht von Menschen treffen und Tartu entdecken über ein Erzählcafé veranstalten bis hin zu: meine Erlebnisse auf dem Blog dokumentieren. Ich bin immer auf der Suche nach Geschichten. Und Maarja?
Sie überlegt nicht lang. Tartu ist Stadt der Literatur, erzählt sie, Teil eines weltweiten Netzwerks kreativer Städte, ein Unesco-Projekt. Heidelberg gehört dazu, und Bremen, Vilnius und Odessa, Barcelona, Bagdad und Beirut. Gerade sei eine Autorin aus Reykjavik da, sagt Maarja, die sich um die Gast-Autorinnen kümmert, das Literaturfestival mitorganisiert und auch sonst alle Netzwerk-Veranstaltungen in Tartu in diesem Jahr koordiniert.
Eigentlich habe sie sich mit der Idee beworben, ein Gedichtbuch zu schreiben. Maarja lacht ein Lachen, dass irgendwo zwischen Entschuldigung und Enttäuschung schwingt. Zwei Wochen habe sie daran arbeiten können, seit sie im Januar als Stadtschreiberin angefangen hat. Aber bis Dezember ist ja noch Zeit.
Wir sitzen im Hof des Café Krempel, Maarjas Lieblingsplatz. Vor uns steht Kaffee, über uns türmen sich die Wolken. Maarja Pärtna ist Dichterin, Autorin, Übersetzerin und in diesem Jahr auch – Tartus estnische Stadtschreiberin. Sie hat in Tartu studiert, 2010 ihr Debüt Rohujuurte juures veröffentlicht, zu Deutsch: An der Basis. Mittlerweile wurden ihre Gedichte in elf Sprachen übersetzt. So wie dieses:
blackout / arrival
close the curtains
to hide yourself. in the blackout
the city dissolves into the landscape
in the world’s closing fist.
when the air raid comes
they might crush and destroy you
but this way it’s harder to find you –
at least that’s what you hope.
when you
reached the opposite shore in a boat
the light left you speechless.
…
In ihren Texten geht es meist um sozial-ökologische Themen, um Klimaangst und den Verlust von Biodiversität, oder, wie in ihrem fünften Gedichtband „Elav linn“, lebendige Stadt, um städtische Natur und die Koexistenz mit nicht-menschlichen Lebewesen. Maarja stammt aus der Bergbauregion im Nordosten, einer vom Ölschieferabbau zerfressenen Landschaft. Vor allem diese Industrie schlägt Estland massiv auf die CO2-Bilanz. „Ich erzähle davon aus meiner persönlichen Sicht“, sagt sie, sie sei keine Mahnerin und erst recht keine Biologin.
Die Hoffnung auf Veränderung treibt sie an.
Wie viel kann man als Stadtschreiberin Einfluss nehmen? Wie viele Menschen erreichen wir, mit unserer Arbeit, unseren Texten? Erreichen wir sie wirklich? Fragen, die nicht nur mir im Kopf rumschwirren.
Wir sprechen über das Stadtschreiberin-Sein, über Zeitmanagement und übers Kreativ-Sein. „Ich bin eine langsame Schreiberin“, sagt Maarja, die mit ihrer runden Brille wie eine super kluge Literatin wirkt. Ich nicke, mir geht es genauso. Und das romantische Klischee von der Literatin im Kaffeehaus, mit Zeitung und Kaffee? Maarja fühlt das überhaupt nicht. Sie braucht Ruhe, um zu Schreiben. Am liebsten arbeite sie in der Uni-Bibliothek, eine Angewohnheit aus Studien-Zeiten. „Es gibt dort so bequeme Sessel.“
In der neulich erschienenen Augustausgabe der Literaturzeitschrift Looming ist Maarja Pärtna’s Übersetzung eines Gedichtes der schottischen Dichterin Penny Boxall abgedruckt.