Lieblingsbrot

Das Wichtigste ist, den Teig am Leben zu halten. Und so löffelt Marko Sooru erstmal 200 Gramm schleimig-beigen Rohteig in eine Plastikdose. „Starter“, nennt Marco, was in der Dose wackelt, macht einen Deckel drauf und stellt es in den Kühlschrank. Sauerteig lebt, und so sind diese paar Gramm jeden Tag Grundlage für neuen Teig, für neues Brot.

Vor mir schwimmt der große Rest des Rohteigs in einer silbernen Wanne. 200 Gramm Starterteig, vermengt mit Wasser und Mehl, gestern Abend schon. Ich stehe in der Backstube des Toome Kohvik. Von außen gänzlich unscheinbar liegt das Café unterhalb des Dombergs. Von drinnen schaut man auf Tennisplätze.

„Man mixt alle Zutaten, füllt den Teig in die Form, lässt ihn anderthalb bis zwei Stunden gehen, bäckt ihn“, fasst Marco zusammen, was mich gleich erwartet. Marko managt das Café, er ist studierter Forstwirt, der nach ein paar Jahren auf die Gastronomieschule wechselte, Fachmann für Backen und Braten wurde. Heute gibt er mir einen Crashkurs im Brotbacken.

Das Brot, das sie hier herstellen, ist mein Brot.

Vielleicht muss ich das erklären: Ich liebe Brot. Gutes Brot, so eines, das von Hand gebacken wurde. Roggen-Weizen-Mischung, nicht zu dunkel, innen fluffig, außen eine stabile Kruste. Gern groß wie ein Wagenrad. Die Namen: Mischbrot, Bauernlaib, Krustenbrot. In meiner Brotliebe bin ich vermutlich sehr deutsch. Und im Ausland deswegen schon oft verzweifelt.

In Tartu musste ich mein Brot auch erst suchen. Ich probierte Supermarkt-Brot (puh, nur im Notfall), helles Krustenbrot aus der Bäckerei (fluffig, ähnelte aber eher Ciabatta), mehrere Cafés, die allesamt selber backen (sehr erfreulich, jedoch entweder zu hell, zu latschig oder zu viel Kümmel), ehe ich das dunkle Brot im Toome Kohvik probierte. Es ist extrem dunkel – mochte ich früher nicht –, hat eine Kastenform – fand ich nie gut, keine Ahnung warum – und ist wahnsinnig gut.

Dicht, dunkel und kräftig. Und mit ganzen Körnern.

In der Backstube schraubt Marko ein Glas Malzextrakt auf, für den Geschmack, sagt er. Dick und dunkel fließt es in die Teigwanne. Dann nimmt er die Tüte mit dem Hanfpulver. Es riecht nach Garten und Kräutern, rieselt Grün auf den Teig. Jetzt das Mehl. 700 Gramm dunkles, grobes Roggenvollkornschrot landen in der Teigwanne, dazu 400 Gramm feines Roggenmehl. Für die Fluffigkeit. Der Roggen kommt aus Estland, wird in Tartu verarbeitet.

Seit über 1.000 Jahren wird in Estland Roggen angebaut, im Mittelalter war das Land einer der bedeutendsten Roggenexporteure der Welt. Und Brot Grundnahrungsmittel. Das typische must leib oder rukkileib besteht deshalb aus Roggenmehl und Sauerteig, mit Honig oder Malz für die Süße und den milderen Geschmack.

Marko schüttet braunen Zucker zum Teig, eine große Prise Salz, zuletzt die Körner. Sonnenblume, Flachs, Kürbis, Hanf. Zum Schluss kommt noch Korianderpulver dazu. „Ich mag eigentlich keinen Koriander“, sagt Marko, „aber im Brot schmeckt es.“ Marko hält mir einen Holzlöffel hin, groß wie mein Unterarm. Ich soll rühren und schiebe den Löffel nur schwerfällig durch die dickliche Masse.

Mir gegenüber formt eine Bäckerin Zimtschnecken, eine andere verpackt erst Rhabarberkuchen – gefrorener Rhabarber sei am besten, sagt Marko – und rollt dann Focacciateig aus, belegt ihn mit Tomaten und Oliven. Seit 7 Uhr stehen sie hier und backen. Das insgesamt zehnköpfige Team ist jung, kaum jemand ist älter als 30.

„Die weißen Flecken müssen alle noch weg“, mahnt Marko, sonst gibt’s Mehlklumpen. Er holt derweil die Brotformen aus dem Regal, neun Stück, und ölt sie. Dann füllen erst er, später ich, Teig hinein. Immer 600 Gramm. Glattstreichen, Ränder hübsch machen, Marco streuselt eine Linie Kerne auf jeden Teig. Fertig, also fast. Die Rohlinge kommen jetzt in die Wärmekammer, wo sie sich neben einem Zimtkranz gehen lassen können.

In der Sowjetzeit, lese ich, sei Brotbacken fast in Vergessenheit geraten, inzwischen erlebt das Handwerk ein kleines Revival. Cafés, Restaurants, Bäckereien, oder einfach Zuhause, viele Menschen backen wieder selbst (Nachfragen lohnt sich, manchmal kann man auch im Restaurant Brot kaufen). Das Grundrezept wird nach Gutdünken erweitert, mit Gewürzen, Nüssen, Trockenfrüchten oder auch mal Schokolade.

Die Liebe zum Brot geht in Estland so weit, dass man Schwarzbrot auch einfach als Snack isst, in Streifen geschnitten und geröstet.

Nach über zwei Stunden und zwei Kaffee winkt mich Marko zu sich. „Es hat heute länger gedauert“, sagt er, aber inzwischen haben die Brote den Rand ihrer Form erreicht. Ruhephasen sind wichtig, Schnell-Schnell funktioniert beim Brotbacken nicht. Ofen auf, Brote rein, Ofen zu. Zehn Minuten bei 200 Grad, stellt Marko ein. „Am Anfang brauchen sie Hitze, sonst fallen sie zusammen“, sagt er. Danach backen die Brote bei 175 Grad 40 Minuten fertig.

Mittlerweile ist es kurz vor Eins. „Vorsicht, heiß!“ Marco stellt das Blech mit den Brotformen auf die Arbeitsplatte, dreht eines nach dem anderen um. 30 Minuten müssen sie auskühlen, dann können wir sie anschneiden. Unterdessen setzt Markos Kollegin den Starterteig für den nächsten Tag an. Sie hat die 200 Gramm Starterteig vom Morgen in eine neue silberne Wanne gegeben, gibt jetzt knapp zwei Liter Wasser und ein Kilo Mehl dazu, rührt. Die Mischung bleibt über Nacht stehen. Morgen können sie daraus wieder neun neue Brote machen.

Achso, und was kommt aufs Brot? Ich mags am liebsten pur, mit Butter und Salz. Head isu! Guten Appetit!

2 Gedanken zu „Lieblingsbrot“

  1. Das ist ein schöner Text über eine für mich überraschende Aktion!

    Ich erinnere mich gerne an das getrocknete, geschrumpelte und knusprige dunkle Brot, das ein wenig süß schmeckt. Kennst du das auch?

    Wie heißt die Bäckerei genau, von der hier die Rede ist? Ich kenne die Straßen um die Tennisplätze herum unter dem Domberg. Aber wo ist da eine Bäckerei?

    Herzliche Grüße aus der Toskana, wo es jeden Tag NUR weißes Brot gibt…

    1. Danke 🙂 Das schrumpelige Brot, was du meinst, war vermutlich frittiert, so zumindest snacken hier viele Brot unterwegs, im Stadion…
      Das Café heißt Toome Kohvik, ein kleiner, weißer Flachbau, direkt neben den Tennisplätzen, am Fuß der Treppe zum Dom. Es ist echt leicht zu übersehen, aber der Geruch leitet einen (und ein Schild aufm Gehweg).

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