Wie plant man ein Kulturhauptstadtjahr, Kati Torp?

Knapp drei Jahre bevor das Kulturhauptstadtjahr tatsächlich begann, steckte Kati Torp schon mittendrin. Plante, sprach mit Künstlerinnen, feilte am Programm. Kati Torp ist die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt. Sie hat Kunstgeschichte studiert, am Kunstmuseum KUMU in Tallinn als Kuratorin für zeitgenössische Kunst gearbeitet, 2017 den estnischen Pavillon für die Biennale in Venedig kuratiert.

Für das Gespräch treffe ich sie am Rathausplatz in einem Altbau, unten rosa, oben weiß gestrichen, „Tartu 2024“ ist auf die Wand gepinselt. Die Organisationszentrale der Kulturhauptstadt liegt im ersten Stock, der Meetingraum ist mit Aufstellern und Postern voll, pink und türkis, die Farben des Jahres. Man blickt von hier auf den Brunnen mit den küssenden Studenten, den Rathausplatz, die ganz großen Events.

Ist es anstrengend, ein Jahr Kulturhauptstadt zu organisieren?

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Stromabwärts

Früher seien sich die Grenzer gegenseitig besuchen gefahren, erzählt Marco, der Kapitän. Die russischen kamen zum Wodkatrinken, die estnischen fuhren für Schnaps und Sauna rüber. Ein versehentlicher Grenzübertritt auf dem See? Habe früher einen Anruf gekostet, heute werde die gesamte diplomatische Maschinerie in Gang gesetzt.

Früher, das war, bevor Russland die Ukraine überfallen hat. Früher, das ist ein Wort, das ich oft höre, wenn ich mit Menschen über den Emajõgi, den Peipussee, die Grenze spreche.

Und was, wenn man die Bojen übersieht, auf die falsche Seite des Sees kommt? An manchen Stellen ist das Wasser extrem flach, die Fahrrinne eng. Eine Woche Gefängnis, sagt Marco, und, nach einer Pause: Das will man nicht.

Ich stehe neben Marco in der Fahrerkabine, er lenkt die M/L Alfa den Emajõgi stromabwärts. Marco trägt Sonnenbrille, überm Bauch dehnt sich sein Hemd, der vorletzte Knopf fehlt. Ausflügler zum Peipussee schippern ist sein Sommerjob.

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Lilly und die Kunst

Es ist dann doch immer wieder erstaunlich, wie schnell wir Menschen uns an Neues gewöhnen. Ich meine vor allem Alltägliches. Die quietschende Eingangstür im Haus, mein täglicher Weg über den Domberg, Treppe rauf, Treppe runter, die ballernde Sonne. Vielleicht liegt es am Norden, aber 25 Grad fühlen sich hier irgendwie wärmer an als in Berlin.

Teufelsbrücke, Engelsbrücke, küssende Studenten. Das schiefe Haus.

Und das schiefe Haus steht wirklich verdammt schief. 5,8 Grad neigt es sich, wenn man vom Rathausplatz schaut, nach links. Das sind fast zwei Grad mehr als der Turm in Pisa! Trotzdem fällt es nach dreimal dran vorbeilaufen gar nicht mehr auf. Ist eben schief. Der Grund ist übrigens derselbe wie in Pisa: sumpfiger, weicher Boden. Tartus schiefes Haus wurde 1793 gebaut, eine Hälfte stützt sich auf die alte Stadtmauer, die andere auf Pfähle. Und dass die nicht gleichmäßig in den morastigen Untergrund einsinken, kann man hier sehen.

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In den Stürmen der Welt

Vor dem Krieg war ich: Happy

Jetzt bin ich: trauriges Smiley

Zwei Pinnwände, zwei Satzanfänge, darunter Zettel, auf denen jede und jeder ergänzen kann, was sie oder er gerade fühlt. Vor dem Krieg habe ich in einer Bank gearbeitet, hat jemand geschrieben. Und daneben: Jetzt habe ich keinen Job, mache mir Sorgen um meine Familie in Kyjiw, habe Angst.

Plötzlich wird das Kulturhauptstadt-Motto brutal real. Arts of Survival, Überlebenskünste.

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Wie ich versuchte Estnisch zu lernen

Mina, sina, tema, sagt Britt, meine Lehrerin und bewegt dazu ihre Hände: zu sich, von sich weg, zur Seite. Es ist die Eselsbrücke, die mir ich, du, er/sie/es leichter machen soll. Es funktioniert. Aber eigentlich verwenden alle nur die Abkürzungen, ma, sa, ta.

Meie, teie, nemand, wir, ihr, sie, geht es weiter. Schreibt man Teie groß, heißt es Sie – auch im Estnischen gibt es diese formelle Anrede.

Meie Tartu, habe ich kürzlich auf einem Plakat des Stadtmuseums gelesen. Wir Tartu? In dem Fall bedeutet es unser, sagt Britt.

Seit ich in Tartu bin, versuche ich etwas von der Sprache zu lernen. Weil ich es spannend finde, weil ich ein bisschen verstehen möchte was die Leute reden, weil Sprache Teil der Kultur ist. Die meisten rechnen dir das hoch an, wenn du versucht Estnisch zu sprechen, sagt Britt.

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Kultur ist wie Klebstoff

Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit mit Bürgermeister Urmas Klaas zu sprechen. Er empfing mich im Rathaus, in seinem Büro im ersten Stock. An der Wand hängt ein Luftbild der Stadt, am Regal prangen die Sterne der Europafahne, hinterm Schreibtisch: Ein graublauer Sitzsack mit Klaas‘ Vornamen drauf. Normalerweise kann Tartus Bürgermeister von hier aus die Menschen über den Rathausplatz spazieren sehen, gerade ist der Blick von einer riesigen Bühne versperrt. Kulturhauptstadtfeierlichkeiten.

Herr Klaas, Deutschland und Estland haben eine lange gemeinsame Geschichte. Das Rathaus, in dem wir sitzen, wurde von einem Rostocker Architekten entworfen, bis 1917 waren viele Bürgermeister Deutschbalten. Wir führen das Interview auf Deutsch, was ist Ihre persönliche Verbindung zu Deutschland?

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Sie singen

Wie eine bunt schillernde Schlange windet sich der Umzug durch die Straßen. Vom Rathausplatz bis zur Sängerbühne schlängelt er sich, linksrum, rechtsrum, den Berg rauf. Tausende Menschen mit Blumenkränzen im Haar, Fähnchen in den Händen, gemusterten Kleidern. Ketten aus Metall, Schuhe aus Leder, so, wie es früher getragen wurde. „Es lebe hoch der Chor aus Elva“, ruft ein Zuschauer, „Hurra!“, jubelt der Chor zurück. „Es lebe hoch das Treffner-Gymnasium“ – „Hurra“, antworten die Sänger:innen.

Ein großes Gewinke und Fahnen Gewackel.

Dann stellen sie sich auf der Bühne auf: 9.914 Sänger:innen, darunter 3.000 Kinder, das Orchester des Vanemuine-Theaters. Als das erste Lied beginnt – es ist immer „Koit“ von Mihkel Lüdig und Friedrich Kuhlbars -, stehen die 15.000 Menschen auf den Rängen auf, beim Laulupidu, dem Liederfest.

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